Freitag, 28. Juni 2013

Das Auto zum Wochenende, Folge 26: Lancia Stratos

Viele Fahrerweltmeisterschaften, vor allem aber neun (!) Markentitel konnte Lancia von den 70ern bis in die 90er Jahre hinein im Rallyesport für sich verbuchen. Das sind mehr, als die der rallyeverrückten Japaner von Toyota, Subaru und Mitsubishi zusammen. Trotz dieser beeindruckenden Präsenz im internationalen Motorsport blickt man oft in verunsicherte, fragende Gesichter, wenn man die aus Turin stammende Auto-Edelschmiede erwähnt. Kaum jemand kennt Lancia heute noch.

Der Stratos mit Rallye-Zusatzscheinwerfern (Fotos: NS)
 
Allein drei der Weltmeistertitel wurden in den Jahren 1974 bis 1976 auf dem heutigen Auto zum Wochenende eingefahren, dem Lancia Stratos. Das ist beeindruckend, viel faszinierender ist aber die Tatsache, dass Lancia auch eine Serienversion dieses Monsters fertigen musste, um die Homologation für die Rallye-WM zu erreichen. 400 Straßenfahrzeuge mit Ferrari Dino-Motor mussten es mindestens sein, knappe 500 sind wohl letztlich entstanden.

Während sich viele Autofachmänner einig sind, der Stratos sei eines der schönsten Autos aller Zeiten, bin ich persönlich eher gespalten. Klar, auf seine aggressive, keilförmige, geradezu dramatische "Voll auf die Fresse"-Weise weiß der Stratos seinen Betrachter durchaus zu fesseln. Allein in der Geschichte Lancias gibt es aber so viele elegante Erscheinungen (allen voran den traumhaften Aurelia B24 Spider America), dass es schwerfällt, den Stratos als Schönheit anzuerkennen.

Hier ist die "zahmere" Straßenversion zu sehen.
 
Es sind aber nicht nur Stratos und Aurelia, die Lancia zu einer der interessantesten Marken der Automobilgeschichte machen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto bewusster wird mir, wie untertrieben diese Aussage doch ist. Mir fällt nämlich keine spannendere Marke ein. Keine, die auf so viele großartige Modelle verweisen kann: Kappa, Gamma, Aurelia, Beta, Delta Integrale, Flavia, Stratos, Fulvia, Montecarlo, Thema, Flaminia. Jedes dieser Autos hat seinen eigenen Charakter, allen gemein ist ihr Stil, ihre Exklusivität. Und natürlich ihre Ahnengalerie, die die gesamte Konkurrenz ziemlich alt aussehen lässt.

Doch das alles war einmal. Wie bei so vielen anderen schönen Dingen, gab es auch bei Lancia nach all der Herrlichkeit ein unrühmliches Ende, den großen Absturz. Die Konzernmutter Fiat hatte alles selbst in der Hand: den großen Namen Lancia mit dem dazugehörigen Prestige, einen treuen Kundenstamm und eine Motorsportgeschichte zum Träumen. Doch anstatt Lancia weiterzuentwickeln, überließ man es praktisch sich selbst. Der Thesis war 2002 ein letztes Hurra, danach blieb der Marke nur noch die Rolle des ungeliebten, verstoßenen Stiefkindes des großen Konzerns. Mit der Zeit wurde jedes Modell durch einen Fiat ersetzt, dem man eine andere (meist hässliche) Karosserie überstülpte und ansonsten quasi baugleich auf den Markt warf. Niemand wollte diese Autos kaufen, zumal sich kaum jemand noch mit dem Namen Lancia identifizieren konnte oder wollte.

Eine klassische Fulvia als Beleg für die beispiellose
 Lancia-Historie
Aber es geht immer noch schlimmer. Seitdem Fiat Chrysler übernommen hat, steckt unter den neuen Lancia nicht einmal mehr italienische Technik, sondern amerikanische. Die neuen Modelle Fulvia und Thema sind nichts anderes als qualitativ schlechte Autos, die selbst die anspruchslosen Amerikaner nicht mehr haben wollen, uns aber noch unter falschem Namen als "Eleganz der Neuzeit" (Lancia-Website) angepriesen werden. Beim Voyager hat man sich dann total gehen lassen: warum einen teuren Autonamen-Erfinder engagieren, wenn einem das eigene Produkt eh schon lange egal ist? Es gibt also in Deutschland mittlerweile allen Ernstes einen Lancia Voyager, seines Zeichens Fullsize-Van im US-Format, zu erstehen. Einen Chrysler Voyager mit Lancia-Emblem also.

Warum erlöst Fiat Lancia nicht aus seinem tragischen Elend? In der Automobilindustrie ist aktive Sterbehilfe legal. Saab durfte diesen Tod sterben, nachdem es jahrzehntelang unter den Misshandlungen der mächtigen Mutter General Motors leiden musste. Ich wünsche Lancia ein ähnliches Schicksal, sodass wenigstens ein Hauch des Glanzes alter Tage erhalten bleibt.


Nico Siemering, Bielefeld-Korrespondent


Siehe auch:
Das Auto zum Wochenende, Folge 25: Renault Twizy
Das Auto zum Wochenende, Folge 24: Foto-Ausgabe "Außergewöhnliche Kleinwagen"
Das Auto zum Wochenende, Folge 23: Excalibur
Das Auto zum Wochenende, Folge 22: Wartburg 353
Das Auto zum Wochenende, Folge 21: Lamborghini Aventador
Das Auto zum Wochenende, Folge 20: Volvo 240
Das Auto zum Wochenende, Folge 19: Opel Admiral
Das Auto zum Wochenende, Folge 18: Cadillac Escalade
Das Auto zum Wochenende, Folge 17: Ford Focus RS
Das Auto zum Wochenende, Folge 16: Smart Roadster
Das Auto zum Wochenende, Folge 15: McLaren MP4-12C
Das Auto zum Wochenende, Folge 14: Seat Exeo
Das Auto zum Wochenende, Folge 13: Porsche Panamera
Das Auto zum Wochenende, Folge 12: Pontiac Firebird
Das Auto zum Wochenende, Folge 11: Audi 60
Das Auto zum Wochenende, Folge 10: Jubiläumsausgabe zum Thema Autodesign
Das Auto zum Wochenende, Folge 9: Lada Niva
Das Auto zum Wochenende, Folge 8: Mini
Das Auto zum Wochenende, Folge 7: Alfa Romeo Montreal
Das Auto zum Wochenende, Folge 6: VW Phaeton
Das Auto zum Wochenende, Folge 5: Citroen DS
Das Auto zum Wochenende, Folge 4: Mazda MX-5
Das Auto zum Wochenende, Folge 3: BMW X6
Das Auto zum Wochenende, Folge 2: Fiat 500
Das Auto zum Wochenende, Folge 1: Bugatti Veyron EB 16.4



4 Kommentare:

  1. Ich würde gerne ein heruntergekommenes Exemplar günstig erwerben und dieses zu einem Speedboot umbauen.

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  2. Danke für diesen Ausflug in die Geschichte von Lancia. Sehr informativ! Aber was ist eigentlich eine Homologation?

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    1. Ich kann es zwar nicht beantworten, aber in Russland wäre es verboten.

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  3. Homologation bedeutet in dem Fall, dass eine gewisse Nähe zu einem Serienmodell bestehen sollte, damit die Rallyeautos nicht zu außerirdischen PS-Monstern abdriften konnten. Dadurch stellte man sicher, dass es nur Marken in den Wettbewerb schafften, die es auch wirklich ernst meinten und den nötigen finanziellen Background hatten, um eine gewisse Stückzahl der Renner auch mit Straßenzulassung für Privatkunden anbieten zu können.

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